17.10.2006: Geschlossen gegen Hartz-IV-Finanzierung:

Kreise und Kommunen verabschieden "Gummersbacher Appell"

Oberbergischer Kreis. Peter der Pleitegeier residiert zwar im Büro von Oberbergs Landrat Hagen Jobi, der Vogel aast aber auch in allen anderen Kreisen und Kommunen in Nordrhein-Westfalen. „Das Vieh ist gefräßig“, wusste Landrat Jobi am gestrigen Montagabend aus eigener leidvoller Erfahrung zu berichten. „Ein 6,4 Millionen Euro großes Loch hat der nach Dr. Peter Hartz benannte Pleitegeier in diesem Jahr in unseren Haushalt gefressen.“ So wie im Oberbergischen Kreis verursachen die Kosten für Hartz-IV-Empfänger in allen Kreisen Nordrhein-Westfalens dramatische Verluste. Das finanzielle Desaster der öffentlichen Haushalte vereinte gestern zahlreiche Landräte, Bürgermeister, Abgeordnete von Land und Bund sowie den Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten, Michael Mertes, im Kreishaus in Gummersbach. Geschlossen forderten die rund 100 Konferenzteilnehmer im „Gummersbacher Appell“ Bund und Land auf, für die Hartz-IV-Kosten aufzukommen und die Mittel gerecht zu verteilen.

Das Foto zeigt das Podium während der Diskussionsrunde im Gummersbacher Kreishaus am 16.10.2006 mit dem Pleitegeier "Peter" im Vordergrund
Blick auf das Podium und den Pleitegeier "Peter" während der Diskussionsrunde im Kreishaus in Gummersbach

Auf Initiative von Landrat Jobi hatten der Oberbergische Kreis und der Landkreistag NRW zu der Veranstaltung eingeladen, um vor der Ministerpräsidentenkonferenz Druck zu machen. Die Länderchefs verhandeln am Donnerstag und Freitag mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel über die Höhe der Bundeserstattung für Hartz IV und deren Verteilung.

Landrat Thomas Kubendorff, Präsident des Landkreistages NRW, kritisierte die „dramatische und schreiend ungerechte“ Entwicklung für die Kreise. Seit Einführung der Hartz-IV Reform Anfang 2005 verzeichneten die Kreise eklatanten Verluste. „Fast 300 Millionen Euro im Jahr 2005 und vermutlich noch einmal 35 Millionen Euro mehr im Jahr 2006 – diese Verluste müssen für die Kreise zum finanziellen Desaster werden“, so Kubendorff. Während die Kreise in NRW der große Verlierer der Hartz-IV Reform seien, gewinne Hamburg nach Berechnungen des Deutschen Landkreistages 205 Millionen Euro und Bremen profitiere in Höhe von 183 Millionen Euro.

Die Auswirkungen seien für einen Kreis wie Oberberg und seine 13 Städte und Gemeinden verheerend, verdeutlichte Kreiskämmerer Werner Krüger. Die millionenschweren Verluste durch Hartz IV müsse der Kreis auf seine Kommunen umlegen. Die Erhöhung der Kreisumlage werde aller Voraussicht nach dazu führen, dass alle 13 Kommunen im Nothaushaltsrecht landen werden. „Eine wahrlich erschreckende Perspektive“, so Krüger.

Wiehls Bürgermeister Werner Becker-Blonigen, Sprecher der Bürgermeister im Oberbergischen Kreis, verdeutlichte die Auswirkungen: „Die Kommunen müssen ab August/September die Gehälter per Kassenkredit bezahlen.“ Sein Gummersbacher Kollege Frank Helmenstein fügte hinzu: „Wenn ich unsere 1,2 Millionen Euro Verluste durch Hartz IV an den Bürger weiterreiche, dann wird es weh tun.“

Das Foto zeigt im Vordergrund die Zuhörer während der Diskussionsrunde im Kreishaus und im Hintergrund das Podium
Zuschauer und Podium während der Diskussionsrunde im Gummersbacher Kreishaus

„Die Dramatik der Situation ist der Landesregierung und besonders Jürgen Rüttgers bewusst“, versicherte Staatssekretär Mertes. „Wir erwarten, dass der Bund seine Zusagen schlicht einhält“, sagte der Bevollmächtigter des Landes NRW beim Bund. Der „Gummersbacher Appell“ bedeute für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in den äußerst schwierigen Verhandlungen erheblichen Rückenwind. Peter Biesenbach, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU Landtagsfraktion, macht in den Verhandlungen zwischen den Ländern und dem Bund eine 10:6 Mehrheit für eine andere Verteilung der Bundesmittel aus. Außerdem war er optimistisch, dass der Bund seine zugesagten zwei Milliarden Euro Erstattung noch aufstocken werde. „Es kommt Bewegung in die Sache“, stimmte der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Flosbach zu.

„Wir wollen eine schwarze Null“, forderte Dr. Martin Klein, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages NRW. „Um dies zu erreichen, muss der Bund den Kommunen bundesweit 3,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Die versprochene Entlastung von 2,5 Milliarden Euro ist da noch gar nicht eingerechnet.“ Er freute sich, dass bei der Gummersbacher Veranstaltung Kommunen, Kreise und Land den Schulterschluss übten, um gemeinsam Druck auf die Bundesregierung auszuüben.


Letzte Änderung: 17. Oktober 2006