05.11.2012: Gegen Fixierungen in Pflegeheimen: Kreis und Amtsgericht für "Werdenfelser Weg"

Als Alternative zu freiheitsentziehenden Maßnahmen setzen Kreis und Amtsgericht Gummersbach auf das Modellprojekt "Werdenfelser Weg". Dabei stehen Freiheit und Würde des Menschen im Zentrum

Verfahrenspfleger überprüft zukünftig Alternativen für betroffene Patienten


Oberbergischer Kreis. Kranke und demente Menschen im Oberbergischen Kreis sollen möglichst nicht mehr mit freiheitsentziehenden Maßnahmen gesichert werden. Bettgitter, Bauch- und Armgurte, Vorsatztische: mit diesen Fixierungen sollen pflegebedürftige Patientinnen und Patienten vor Verletzungen geschützt werden. Allerdings können durch diese Fixierungen ehebliche seelische und körperliche Beeinträchtigungen ausgelöst werden.  

Ziel ist es, freiheitsentziehende Maßnahmen bei Pflegebedürftigen deutlich zu reduzieren und bestenfalls ganz zu vermeiden. Dafür setzen sich der Oberbergische Kreis und das Amtsgericht Gummersbach jetzt gemeinsam ein. Die Initiative des Amtsgerichts Gummersbach ist auf große Resonanz gestoßen und hat durch die gute Zusammenarbeit bereits viele Menschen, die im Pflegebereich tätig sind, zusammengebracht.

Die Initiative "Werdenfelser Weg" zeigt Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen auf. Das Modellprojekt wurde vor fünf Jahren im Landkreis Garmisch Patenkirchen entwickelt und stößt bundesweit auf großes Interesse. "Auch im Oberbergischen Kreis ist die Resonanz auf dieses neue Verfahren außerordentlich gut", sagt Sozialdezernent Dr. Jorg Nürmberger. Seit Mai dieses Jahres haben mehrere Planungsgespräche zwischen Amtsgericht Gummersbach und Kreis (Heimaufsicht, Betreuungsstelle, Akademie Gesundheitswirtschaft und Senioren des Kreises) stattgefunden.

Große Resonanz bei der Auftaktveranstaltung "Werdenfelser Weg" in Bergneustadt; v.l.n.r.: Christine Prinz (Heimaufsicht OBK); Kurt Herold (Oberarzt, Kreiskrankenhaus Gummersbach); Claudia Krieger (Betreuungsrichterin am Amtsgericht Gummersbach); Johanna Saul-Krickeberg (Direktorin des Amtsgerichts Gummersbach); Sylvia Schöllmann (Richterin am Amtsgericht Gummersbach); Ursula Kriesten (Leiterin der Akademie Gesundheitswirtschaft und Senioren, AGewiS); Michael Thelen (Leiter des Evangelischen Seniorenzentrum Theresienau e.V. in Bonn); Dr. Jorg Nürmberger (Sozialdezernent des Oberbergischen Kreises); Dr. Peter Sommer (Richter am Amtsgericht Gummersbach); Ernst-Gerhard Müller (Abteilungsleiter der Betreuungsstelle OBK);(Foto:OBK)
Große Resonanz bei der Auftaktveranstaltung "Werdenfelser Weg" in Bergneustadt; v.l.n.r.: Christine Prinz (Heimaufsicht OBK); Kurt Herold (Oberarzt, Kreiskrankenhaus Gummersbach); Claudia Krieger (Betreuungsrichterin am Amtsgericht Gummersbach); Johanna Saul-Krickeberg (Direktorin des Amtsgerichts Gummersbach); Sylvia Schöllmann (Richterin am Amtsgericht Gummersbach); Ursula Kriesten (Leiterin der Akademie Gesundheitswirtschaft und Senioren, AGewiS); Michael Thelen (Leiter des Evangelischen Seniorenzentrum Theresienau e.V. in Bonn); Dr. Jorg Nürmberger (Sozialdezernent des Oberbergischen Kreises); Dr. Peter Sommer (Richter am Amtsgericht Gummersbach); Ernst-Gerhard Müller (Abteilungsleiter der Betreuungsstelle OBK);(Foto:OBK)

Auftaktveranstaltung

"Die Auftaktveranstaltung zum 'Werdenfelser Weg' hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Gut 200 Interessierte - von Pflegekräften, über Heimleiter, Ärzte, Berufsbetreuer und Juristen - haben sich über die angestrebten Alternativverfahren informiert. Das Konzept wird sehr gut angenommen", sagt Dr. Jorg Nürmberger.

"Das Interesse daran ist in den 81 oberbergischen Heimen sehr groß", bestätigt Ernst-Gerhard Müller, Leiter der Betreuungsstelle des Oberbergischen Kreises. Bundesweiten Studien zufolge wird bislang etwa jeder vierte Heimbewohner fixiert, um ihn vor sich selbst zu schützen. Bevor ein Heimbewohner Gurte angelegt bekommt, muss der Pflegebedürftige einwilligen oder sein Betreuer muss es anordnen. Zusätzlich muss ein ärztliches Attest vorliegen. Die Anordnung muss vom Richter genehmigt werden.   

Der Sozialdezernent des Oberbergischen Kreises, Dr. Jorg Nürmberger unterstützt den "Werdenfelser weg" als einen Prozess des Umdenkens(Foto:OBK)
Der Sozialdezernent des Oberbergischen Kreises, Dr. Jorg Nürmberger unterstützt den "Werdenfelser weg" als einen Prozess des Umdenkens(Foto:OBK)

Alternativen

"Wir setzen jetzt Verfahrenspfleger ein, die Betroffenen und Angehörigen Alternativen  freiheitsentziehenden Maßnahmen aufzeigen", sagt Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg. Verfahrenspfleger sind erfahrene Fachkräfte, die seit Jahren im Pflegebereich tätig sind. Sie sollen für jeden Patienten individuelle Möglichkeiten finden, ihn ohne Fixierung bestmöglich zu betreuen.

Ohne Hand- und Fußfesseln, Bettgitter und Gurte sollen Pflegebedürftige zukünftig individuell vor Verletzungen geschützt werden. Fixierungen führen häufig zu körperlichen und seelischen Schäden, bishin zum Tod - etwa, wenn Pflegebedürftige versuchen, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien und aufstehen möchten. "Es gibt Niederflurbetten, in denen die Patienten knapp über dem Boden schlafen, zusätzlich können Sturzmatten vor das Bett gelegt werden. Menschen mit starkem Bewegungsdrang werden mit Protektoren geschützt, um sich frei bewegen zu können", sagt Johanna Saul-Krickeberg. Dass sich viele Heime bislang für Fixierungen entschieden haben, resultiere aus der Angst heraus, die Verantwortung tragen zu müssen, wenn sich ein Heimbewohner durch einen Sturz verletzt. Die Auftaktveranstaltung habe allen Beteiligten deutlich gemacht, dass Haftungsängste nahezu unbegründet sind. "Mit dem 'Werdenfelser Weg' wollen wir Fixierungen reduzieren, um alten und kranken Menschen ein würdevolles Leben zu gewährleisten", sagt die Amtsgerichtsdirektorin.

Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg erklärt, dass Haftungsängste beim "Werdenfelser Weg" unbegründet sind (Foto:OBK)
Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg erklärt, dass Haftungsängste beim "Werdenfelser Weg" unbegründet sind (Foto:OBK)

Umsetzung

Betreuungsrichterin Claudia Krieger ist maßgebend an der Umsetzung des "Werdenfelser Wegs" im Oberbergischen beteiligt. Sie ist davon überzeugt, dass ausreichend Alternativen zur Verfügung stehen, um Fixierungen zu reduzieren. Claudia Krieger verweist auf positive Erfahrungen, beispielsweise des Bonner Altenheimleiters Michael Thelen. Er referierte bei der Auftaktveranstaltung zu seinen bisherigen Erfahrungen bei seinem Bemühen, Fixierungen zu vermeiden. Trotz der Umstellung sei kein zusätzliches Personal benötigt worden. Die Mehrkosten bezeichnet Thelen als sehr gering. 

Jetzt stehen im Oberbergischen Beratungsgespräche an, wie dieses Vorhaben vorangetrieben werden kann. Doch alle Beteilgten verbindet das gemeinsame Ziel, pflegebedürftige Menschen in oberbergischen Heimen ein würdevolles Leben in Freiheit zu bieten.

Betreuungsrichterin Claudia Krieger hat bei der Auftaktveranstaltung das Konzept "Werdenfelser Weg" vorgestellt. (Foto:OBK)
Betreuungsrichterin Claudia Krieger hat bei der Auftaktveranstaltung das Konzept "Werdenfelser Weg" vorgestellt. (Foto:OBK)


Letzte Änderung: 5. November 2012