06.04.2005: Oberberg rutscht um mehr als eine Kilometer auf den Äquator zu

Oberbergischer Kreis. Der Oberbergische Kreis bewegt sich: In Nümbrecht geht es um 35 Meter nach Westen, Wildbergerhütte rutscht um 1800 Meter nach Süden und Wipperfeld kommt dem Äquator um 1200 Meter näher. Doch Volker Gülicher vom Katasteramt der Kreisverwaltung beruhigt: „Es gibt keinen Ruck. Wir verursachen keine Erdbeben.“ Nein, sichtbar wackelt in Oberberg die Erde nicht. Von unseren Augen unbemerkt werden sich dennoch bis 2007 über eine Million Punkte verschieben, die im Katasteramt - bezeichnet durch ihre Koordinaten – den Oberbergischen Kreis ausmachen. Satelliten und intelligente Rechenmethoden machen es möglich.

Moderne Satellitenmessung löst den alten Gauß ab. Der Mathematiker Carl Friedrich Gauß hatte Anfang des 19. Jahrhunderts die theoretischen Grundlagen entwickelt, die von Heinrich Louis Krüger Jahrzehnte später für die Vermessungspraxis nutzbar gemacht wurden. Nach ihren Begründern ist das Gauß-Krüger-System benannt und stellt eine spezielle Methode dar, wie der Erdball in der Ebene, sprich auf Karten, abgebildet werden kann. Vermessungsingenieur Gülicher erklärt es so: „Stellen Sie sich vor, die Erde ist eine Apfelsine. Die Schale schneiden Sie in so kleine Streifen, dass man sie ohne Risse auf eine Tischfläche legen kann.“ Mit den Verzerrungen, die unweigerlich entstehen, wenn die gekrümmte Erdoberfläche in die Ebene abgebildet wird, haben die Vermessungsingenieure und -techniker des Katasteramtes täglich zu tun. Doch statt auf das Gauß-Krüger-System stützen sie sich zunehmend auf das so genannte European Terrestrial Reference System 1989 (ETRS89). Während nämlich das Gauß-Krüger-System nur für Deutschland Gültigkeit hat, ist das ETRS89 für ganz Europa einheitlich.

Dabei wird die Erde in 60 Zonen – man könnte auch sagen: in 60 Apfelsinen-Streifen - eingeteilt. Die neue Einteilung ist die Ursache für die unsichtbaren „Beben“ in Oberberg. Unser Landkreis liegt jetzt wie ein Großteil der Bundesrepublik in Zone 32, während Oberberg im Gauß-Krüger-System auf der Nahtstelle von zwei Zonen lag. „Durch Gummersbach ging der Schnitt zwischen zwei Apfelsinenscheiben“, erklärt Gülicher. Grundstücke und andere Flächen, die auf dieser Grenzlinie lagen, haben dem Katasteramt regelmäßig Probleme bereitet. „Brauchte ein Grundstücksbesitzer einen Lageplan für einen Bauantrag, mussten wir zwei Pläne zusammenmontieren, weil das Grundstück in zwei verschiedenen Systemen dargestellt war.“ Die seit 2000 im Kreis von vielen privaten und öffentlichen Stellen zunehmend eingesetzte Satellitenvermessung verwendet das ETRS89 unmittelbar, wodurch in der täglichen Praxis auf viele Umrechnungsarbeiten verzichtet werden kann. Gülicher: „Das ist gegenüber Gauß-Krüger eine deutliche Erleichterung.“

Foto zeigt den Mitarbeiter Wolfgang Baumert bei einer Satellitenvermessung

Herr Wolfgang Baumert (Mitarbeiter des Vermessungs- und Katasteramtes
des Oberbergischen Kreises) bei einer Satellitenvermessung

Im Sommer 2004 haben die Ingenieure des Katasteramtes damit begonnen, die vorhandenen Koordinaten umzurechnen. Es wird noch Jahre dauern, bis die eine Million Oberberg-Koordinaten umgerechnet sind. Landesweit sollen die Katasterämter bis 2008 damit fertig sein, in Gummersbach will man es bis 2007 schaffen. Erst wenn allen Punkten eine neue Koordinate zugewiesen wurde, werden die Karten geändert. „Das muss in einem Rutsch geschehen“, sagt Gülicher. „Würden wir die Karten Zug um Zug ändern, würden die Kartennutzer wie zum Beispiel die Telekom oder das RWE auf den neuen Karten ihre Leitungen nicht mehr finden.“ Oberberg rutscht also noch einige Zeit langsam aber sicher um 1,2 bis 1,8 Kilometer näher an den Äquator. Ob es dann auch wärmer wird, wagt der Vermessungsingenieur zu bezweifeln.


Letzte Änderung: 6. April 2005